Auf der Suche nach einer Verlängerung der Gesundheitsspanne konzentrieren wir uns oft auf offensichtliche Übeltäter wie Blutzuckerspiegel, Insulinresistenz und Entzündungen. Doch unter diesen vertrauten Sorgen lauert ein weitaus heimtückischerer biochemischer Prozess, der das Altern direkt beschleunigt: die Bildung von Advanced Glycation End-Products (AGEs, fortgeschrittene Glykationsendprodukte). Diese komplexen Moleküle schädigen unsere Gewebe still und leise und tragen zu allem bei – von Falten bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Schauen wir uns an, was AGEs sind, wie sie entstehen und – am wichtigsten – was wir dagegen tun können.
Die Chemie des Alterns: Was sind AGEs?
Fortgeschrittene Glykationsendprodukte sind genau das, was ihr Name andeutet – das Endprodukt einer nicht-enzymatischen Reaktion zwischen Zuckern und Proteinen oder Lipiden. Dieser Prozess, bekannt als Glykation, tritt auf, wenn reduzierende Zucker wie Glukose sich ohne Hilfe von Enzymen chemisch an Proteine oder Lipide binden. Man kann es sich wie eine spontane Karamellisierung im Körper vorstellen.
Anders als enzymatische Reaktionen, die präzise durch den Stoffwechsel gesteuert werden, ist Glykation ein zufälliger Prozess – Proteine werden in unregulierter Weise „zuckerbeschichtet“. Sobald diese modifizierten Proteine entstanden sind, gehen sie weitere Reaktionen ein, durch die sie irreversibel vernetzt werden und AGEs entstehen. Diese Vernetzungen führen zu steifen, funktionsgestörten Proteinen, die sich im Laufe der Zeit ansammeln, insbesondere in langlebigen Geweben wie Kollagen in der Haut, den Blutgefäßen und den Nieren.

Besonders problematisch an AGEs ist ihre Beständigkeit. Anders als viele andere Stoffwechselabbauprodukte, die der Körper abbauen und ausscheiden kann, bilden AGEs stabile Verbindungen, die sich kaum abbauen lassen. Sie akkumulieren mit dem Alter und schaffen eine messbare „AGE-Belastung“, die mit vielen altersbedingten Krankheiten korreliert.
Die Schattenseite: Wie AGEs das Altern beschleunigen
Der Einfluss von AGEs auf Gesundheit und Alterung erfolgt über mehrere Mechanismen:
Struktureller Schaden: AGEs verändern Proteine physikalisch, besonders Kollagen und Elastin, wodurch Gewebe steifer und weniger funktionsfähig wird. Das trägt direkt zur Hautalterung (Falten), Versteifung der Arterien und Gelenkproblemen bei.
Rezeptoraktivierung: Der Körper besitzt spezifische Rezeptoren für AGEs – passend als RAGE (Receptor for Advanced Glycation End-products) bezeichnet. Wenn AGEs an diese Rezeptoren binden, lösen sie Entzündungen und oxidativen Stress aus und schaffen so einen Teufelskreis aus Zellschäden.
Mitochondriale Dysfunktion: AGEs beeinträchtigen die Funktion der Mitochondrien, reduzieren die zelluläre Energieproduktion und steigern den oxidativen Stress – eine doppelte Belastung für die Zellgesundheit.
Die Folgen dieser Mechanismen zeigen sich praktisch bei jeder altersbezogenen Erkrankung:
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: AGEs tragen zur Versteifung der Arterien und zu Arteriosklerose bei
- Diabetische Komplikationen: Nierenerkrankungen, Neuropathien und Retinopathien werden durch die AGE-Bildung beschleunigt
- Neurodegeneration: Sowohl bei Alzheimer als auch bei Parkinson ist eine verstärkte AGE-Akkumulation zu beobachten
- Hautalterung: Vernetztes Kollagen durch AGEs trägt direkt zur Faltenbildung und zum Elastizitätsverlust der Haut bei

Bei Menschen mit Diabetes oder Prädiabetes ist dieser Prozess stark beschleunigt. Höhere Blutzuckerspiegel liefern mehr Ausgangsmaterial für die Glykation, was zu einer schnelleren Ansammlung von AGEs führt. Das erklärt, warum Menschen mit schlecht eingestelltem Diabetes oft ein „beschleunigtes Altern“ mehrerer Organsysteme erleben.
Die Verteidigungsstrategie: Minimierung von AGE-Schäden
Die gute Nachricht: Wir können die AGE-Bildung und -Akkumulation durch gezielte Maßnahmen deutlich reduzieren:
Glykämische Kontrolle: Die effektivste Strategie ist eine engmaschige Kontrolle des Blutzuckers. Jede Senkung des HbA1c um 1% (ein Maß für den durchschnittlichen Blutzucker) senkt die AGE-Bildung um etwa 25%. Deshalb sind Kennzahlen wie Glukosevariabilität, Time-in-Range und Nüchterninsulin entscheidende Gesundheitsmarker.
Reduktion von Nahrungs-AGEs: AGEs entstehen nicht nur in uns – sie sind auch in Lebensmitteln vorhanden, besonders in solchen, die bei hohen Temperaturen mit trockener Hitze gegart werden. Die höchsten Mengen finden sich in:
- Gegrilltem, überbackenem oder frittiertem Fleisch
- Verarbeiteten Lebensmitteln mit langer Haltbarkeit
- Karamellisierten oder gebräunten Lebensmitteln
Die Zubereitungsmethode ist entscheidend:
- Kochen, Dämpfen und Pochieren erzeugen weniger AGEs
- Säurehaltige Marinaden (Zitrone, Essig) vor dem Garen reduzieren die AGE-Bildung
- Niedrigere Temperaturen, kürzere Garzeiten und mehr Feuchtigkeit helfen ebenfalls
Spezifische Verbindungen: Verschiedene Substanzen können die AGE-Bildung oder deren Auswirkungen hemmen:
- Metformin (ein Diabetes-Medikament) hemmt Glykationsreaktionen
- Alpha-Liponsäure wirkt sowohl als Antioxidans als auch als Glykationsinhibitor
- Bestimmte Polyphenole, wie sie in grünem Tee und Beeren vorkommen, bieten möglicherweise Schutz
Körperliche Aktivität: Regelmäßige Bewegung verbessert die Glukoseverwertung und vermindert AGE-Bildung, unabhängig vom Effekt auf Gewicht und Insulinsensitivität.
Am wirkungsvollsten ist die Kombination all dieser Strategien – durch Ernährung, Bewegung und gezielte Supplementierung die Stoffwechselgesundheit aufrechtzuerhalten, schafft einen umfassenden Schutz vor AGE-bedingten Schäden.

Fazit: Die AGE-lose Zukunft
Wer AGEs versteht, hat einen starken Ansatz zur Hand, um einen fundamentalen Mechanismus des Alterns zu bekämpfen. Durch die Begrenzung der Glykation via Blutzuckerkontrolle, Ernährung und gezielten Interventionen können wir diesen Aspekt des Alterns wesentlich verlangsamen.
Für Menschen, die bereits mit Diabetes oder Stoffwechselstörungen umgehen, ist die Kontrolle der AGEs ein kritischer, aber oft übersehener Teil der Behandlung – einer, der weit über das akute Blutzuckermanagement hinausreicht und langfristige Komplikationen und das Altern selbst adressiert.
Die Wissenschaft rund um AGEs bestätigt ein Grundprinzip der Langlebigkeitsmedizin: Die Mechanismen des Alterns sind kein unabwendbares Schicksal, sondern modifizierbare Prozesse, die auf unsere Entscheidungen reagieren. Durch die richtigen Entscheidungen können wir nicht nur länger, sondern besser altern.
Quellen:
Uribarri J, et al. Advanced glycation end products in foods and a practical guide to their reduction in the diet. J Am Diet Assoc. 2010;110(6):911-916.
Goldin A, et al. Advanced glycation end products: sparking the development of diabetic vascular injury. Circulation. 2006;114(6):597-605.