Warum bekamen unsere Vorfahren keinen Diabetes? Alte Weisheit für moderne Gesundheit
In meiner Praxis begegne ich häufig Patienten, die mit Typ-2-Diabetes zu kämpfen haben – einer Krankheit, die in unserer modernen Welt epidemische Ausmaße angenommen hat. Doch wenn wir einen Blick in die Menschheitsgeschichte werfen, war Diabetes extrem selten. Unsere paläolithischen Vorfahren, obwohl sie keine moderne Medizin kannten, blieben von dieser Stoffwechselkrankheit verschont, an der heute weltweit über 400 Millionen Menschen leiden. Was hat sich verändert? Und noch wichtiger: Was können wir aus dem Lebensstil unserer Vorfahren lernen, um diese moderne Epidemie vielleicht umzukehren?
Der Stoffwechsel des frühen Menschen: Geschaffen für eine andere Welt
Unsere Körper haben sich in den letzten 10.000 Jahren kaum verändert, doch unsere Umwelt hat sich dramatisch gewandelt. Das menschliche Genom entwickelte sich über Hunderttausende von Jahren hinweg in einer Umgebung, in der Nahrung manchmal knapp, stets unverarbeitet war und erhebliche körperliche Anstrengung erforderte, um sie zu bekommen.
Unsere Vorfahren lebten in einem Zustand metabolischer Flexibilität – ihre Körper wechselten effizient zwischen der Verbrennung von Kohlenhydraten, wenn Nahrung reichlich vorhanden war, und der Verbrennung von Fett während Zeiten der Knappheit. Diese metabolische Anpassung war entscheidend fürs Überleben. Sie erlebten natürliche Phasen des Fastens, aßen saisonal verfügbare Lebensmittel und konsumierten eine große Vielfalt an Nährstoffen aus unverarbeiteten Quellen.
Ihre Ernährung bestand hauptsächlich aus Wildpflanzen, Nüssen, Samen, gelegentlich Fleisch und saisonalem Obst – Lebensmittel, die nährstoffreich und voller Ballaststoffe waren. Wichtiger noch: Sie konsumierten praktisch keine raffinierten Kohlenhydrate, keinen Industrie-Zucker oder industrielle Pflanzenöle. Das Konzept von drei großen Mahlzeiten am Tag plus Snacks wäre ihnen völlig fremd gewesen.

Das Missverhältnis: Moderner Lebensstil vs. Urzeitliche Biologie
Heutzutage leben wir in einer Umgebung, für die unsere Körper nie geschaffen wurden. Dieses evolutionäre Missverhältnis steht im Zentrum der Diabetes-Epidemie.
Der durchschnittliche Amerikaner konsumiert etwa 69 Kilogramm Zucker und 66 Kilogramm Mehl pro Jahr – das sind fast ein halbes Kilo raffinierte Kohlenhydrate täglich! Diese Lebensmittel werden schnell zu Zucker in unserem Blut, wodurch unsere Bauchspeicheldrüse Überstunden bei der Insulinproduktion machen muss. Mit der Zeit werden unsere Zellen resistent gegen diese ständige Insulinflut, was die Grundlage für Typ-2-Diabetes schafft.
Neben der Ernährung tragen weitere Aspekte des modernen Lebens zu diesem Problem bei:
- Chronischer Stress löst die Ausschüttung von Cortisol aus, was den Blutzucker erhöht
- Schlafmangel stört Hungerhormone und Insulinsensitivität
- Umweltgifte stören die metabolischen Signalwege
- Sitzverhalten reduziert die Fähigkeit unserer Muskeln, Glukose zu nutzen
- Störungen des Darmmikrobioms durch Antibiotika und verarbeitete Lebensmittel beeinträchtigen den Stoffwechsel

Unsere Vorfahren waren akuten Stressoren (wie Raubtieren) ausgesetzt, nicht aber dem chronischen Stress der heutigen Zeit. Sie schliefen im Einklang mit natürlichen Lichtzyklen, bewegten sich den ganzen Tag auf Nahrungssuche und hatten ein durch ständigen Naturkontakt vielfältiges Mikrobiom.
Brücke zwischen alter Weisheit und moderner Wissenschaft: Der Weg nach vorne
Die Lösung ist nicht, buchstäblich wie unsere Vorfahren zu leben – das ist weder praktisch noch nötig. Stattdessen können wir die Prinzipien, die sie metabolisch gesund hielten, in unseren modernen Alltag integrieren.
So lässt sich die Weisheit unserer Ahnen im Alltag umsetzen:
-
Setze auf periodische ketogene Phasen: Intervallfasten oder zeitlich begrenztes Essen ahmt die natürlichen Essensmuster unserer Vorfahren nach. Versuche, dein Essensfenster auf 8–10 Stunden pro Tag zu begrenzen.
-
Verzichte auf verarbeitete Lebensmittel: Konzentriere dich auf vollwertige, unverarbeitete Lebensmittel, die auch deine Urgroßmutter erkannt hätte. Gemüse, Obst, Nüsse, Samen, gesunde Fette und saubere Proteine sollten die Basis deiner Ernährung bilden.
-
Bewege dich wie deine Vorfahren: Sie „trainierten“ nicht – sie waren einfach aktiv. Integriere Bewegung in deinen Alltag: Geh-Sitzungen, Stehschreibtische, Gartenarbeit und natürlich auch gezieltes Training.

-
Respektiere deinen zirkadianen Rhythmus: Passe deinen Schlaf-Wach-Rhythmus möglichst an die natürlichen Lichtverhältnisse an. Reduziere nach Sonnenuntergang Blaulicht und achte auf 7–8 Stunden guten Schlaf.
-
Gehe mit Stress aktiv um: Praktiziere täglich Achtsamkeit, Atemübungen oder andere Stressbewältigungs-Methoden. Bedenke: Dein Körper unterscheidet nicht zwischen Raubtier und Abgabefrist – beides löst die gleiche Stressreaktion aus.
-
Pflege soziale Kontakte: Unsere Vorfahren lebten in eng verbundenen Gemeinschaften, die Unterstützung und Sinn gaben. Starke soziale Beziehungen verbessern die metabolische Gesundheit auf mehreren Wegen.
Die Wissenschaft ist eindeutig: Typ-2-Diabetes ist größtenteils eine Zivilisationskrankheit, die sich durch diese Prinzipien aus der Ahnenzeit in unserem modernen Kontext vorbeugen und oft sogar umkehren lässt. Patienten, die diese Veränderungen umsetzen, sehen häufig dramatische Verbesserungen ihres Blutzuckers und können Medikamente verringern oder ganz absetzen.
Unsere Vorfahren haben uns einen kraftvollen Fahrplan für metabolische Gesundheit hinterlassen. Wenn wir unsere evolutionäre Biologie respektieren und gleichzeitig die besten Erkenntnisse moderner Wissenschaft nutzen, können wir unseren natürlichen, gesunden Ausgangszustand wiedererlangen, der eigentlich unser Geburtsrecht ist.
Quellen
Lindeberg, S. (2010). Food and Western Disease: Health and Nutrition from an Evolutionary Perspective. Wiley-Blackwell.
Pontzer, H., Wood, B. M., & Raichlen, D. A. (2018). Hunter-gatherers as models in public health. Obesity Reviews, 19(S1), 24-35.